Grenzen setzen im Alltag - Familiengold Familienberatung und Elterncoaching

Grenzen setzen im Alltag: Wie Eltern liebevoll und entschieden für ihre Bedürfnisse einstehen können

Brauchen Kinder Grenzen? Und wie kommuniziere ich Grenzen kindgerecht und meinen Wertenentsprechend? Fragen, die viele Eltern täglich begleiten und vor Herausforderungen stellen.
„Stell klare Regeln auf und bleibe konsequent.“ „Orientiere dich aber immer an den Bedürfnissen deines Kindes.“ „Lass einfach locker, drück auch mal ein Auge zu.“ „Aber lass dir bloß nicht auf der Nase herum tanzen.“ All diese Aussagen, Kommentare und Meinungen schwirren heutzutage um uns Eltern herum und hinterlassen nicht selten ein Gefühl der Ãœberforderung. Die einen sagen so, die anderen so. Ja, was denn jetzt?, möchte man rufen. Wie mache ich es denn jetzt richtig mit den Grenzen?

Diesem Thema, das viele von uns täglich begleitet und herausfordert, widme ich mich in diesem Blogbeitrag.

Wir alle haben Grenzen

Wir alle haben persönliche Grenzen. Und wir brauchen sie, um gut leben zu können. Sie zeigen was uns wichtig ist, wie wir sind und wie es uns geht. Uns sie helfen uns, gut für uns zu sorgen. Wie ein Schutzmantel, der uns vor Kälte schützt, dienen unsere Grenzen dazu unser physisches, mentales und emotionales Selbst zu schützen. Sie sind ein Teil von uns. Sie sind einfach da.

Persönliche Grenzen sind individuell verschieden und flexibel, abhängig von Erfahrungen, Prägungen und Bedürfnissen. Meine Grenzen unterscheiden sich also von denen meiner Nachbarin und auch von denen meiner Schwiegermutter. Außerdem sind sie situationsabhängig. Was mich an einem Tag stört, macht mir manchmal am nächsten Tag gar nichts aus. Ich kann zum Beispiel tagsüber gut mit Lautstärke umgehen, morgens und abends bin ich allerdings sehr geräuschempfindlich und kann schreiende Kinderstimmen nicht gut ertragen. Meinem Mann hingegen macht das am Abend kaum etwas aus. Ich mache gerne Ausflüge mit meinen Kindern, immer mal wieder besuchen wir auch Indoorspielplätze. Ich kann mich dort entspannen und die Kinder spielen lassen. Bei meinem Mann lösen diese Orte aber die totale Horrorvorstellung aus.

Grenzen als negativ konnotierter Begriff

Das wir sowohl für Ländergrenzen, als auch für persönliche Grenzen den selben Begriff verwenden, hat leider einen unangenehmen Nebeneffekt. Geographische und politische Grenzen sind starr und fest. Sie werden festgelegt, gewahrt und oftmals verteidigt. Wir assoziieren mit Grenzen Machtausübung und Härte. Also ein Gegeneinander und Kampf.

Und diese Bedeutungen übertragen wir dann auf das Gebiet der psychologischen Grenzen von Menschen im Allgemeinen. Und im Speziellen auf das Zusammenleben mit Kindern.

Wenn wir unsere Kinder bedürfnisorientiert begleiten wollen, fühlen wir uns damit allerdings meist nicht wohl und schrecken zurück, vermeiden das Thema oder fühlen uns davon überfordert.

Grenzen im bedürfnisorientierten Miteinander

Wir wollen ein liebevolles Miteinander gestalten und die kindlichen Bedürfnisse ernst nehmen, damit sich unsere Kinder frei entfalten können. Die meisten von uns haben aber selbst nicht gelernt wie das geht. Wir haben keine Vorbilder dafür.

Was wir aber haben sind internalisierte und gesellschaftlich verbreitete Angstszenarien, dass Kinder zu Tyrannen werden und uns auf der Nase herum tanzen, wenn wir ihnen keine harten Grenzen setzen. Immer noch viel zu viele Elternratgeber nennen dann Strafen, meist „liebevoll“ als Konsequenzen getarnt, als probates Mittel. Das Kind müsse dadurch lernen, wo auch mal Schluss sei. Wenn du deinen Teller nicht leer isst, gibt es keinen Nachtisch. Wenn du jetzt nicht mitkommst, gehe ich eben ohne dich. Wenn du dein Zimmer nicht aufräumst, darfst du auch nicht fernsehen.

Ich halte das absolut für den falschen Weg. Denn hier wird erpresst anstatt persönliche Grenzen zu kommunizieren. Dem Kind wird eine Grenze vor die Nase gesetzt, die beim Kind als Bestrafung ankommt. Kein Raum für Diskussion oder gemeinsame Lösungsfindung. Das ist nicht nur gemein sondern missachtet gleichzeitig, dass auch Kinder Grenzen haben. Und hinzu kommt, dass sie dann erst recht nicht lernen, was ihnen inhaltlich gesagt wird, sondern, dass Grenzen überschreiten in Ordnung ist. Und das wiederum schadet der Beziehung.

Eltern haben oft das Gefühl sich entscheiden zu müssen. Entweder Grenzen setzen oder liebevoll und zugewandt sein. Als würden sich diese zwei Seiten gegenüberstehen.

Aber hier kommt die gute Nachricht: es geht beides zusammen. Wir dürfen Nein und Stopp sagen und wir müssen unser Kind dabei nicht beschämen oder abwerten. Es gibt einen riesigen Spielraum dazwischen, wenn wir uns dafür öffnen und wenn wir weich werden anstatt uns zu verhärten.

Ein weicher Blick auf unsere Kinder

Kinder lernen Grenzen erst nach und nach kennen. Erst die eigenen, dann die von anderen. Das braucht Zeit und viele Wiederholungen. Und diese Wiederholungen bestehen aus Kollisionen. Erst wenn ein Kind mit einer Grenze kollidiert, lernt es sie kennen. Um als Elternteil darauf zugewandt reagieren zu können, ist es wichtig zu verstehen, dass Kinder diese Grenzen weder suchen noch bewusst testen. Lasst uns aufhören kleinen Kindern manipulatives Verhalten zu unterstellen.

Kinder sind auf der Suche nach Kontakt. Nach echtem, persönlichem Kontakt. Sie wollen uns kennenlernen und sie wollen Verbindung. Wenn sie ein Eis wollen, Hilfe beim anziehen einfordern oder wir eine Geschichte vorlesen sollen. Dann geht immer um Kontakt. Es geht natürlich auch um das Eis, die Hilfe und die Geschichte, aber auch um Kontakt. Kinder können das noch nicht bewusst differenzieren. Sie glauben das Eis ist das wichtigste. Daher ist es wichtig, dass wir Eltern das Wissen dazu haben.

Uns selbst kennenlernen

Viel wichtiger ist allerdings, dass wir auf uns selbst schauen und unsere Grenzen (wieder) spüren. Was ist mir wichtig? Nach welchen Werten will ich handeln? Was mag ich und was nicht? Wie geht es mir gerade und was brauche ich? Diese Fragen sollten wir zu aller erst uns selbst beantworten um Klarheit zu finden.

Wenn uns das gelingt, dann merken wir auch, dass es nicht unser Kind ist, das diese Grenzen braucht, sondern wir selbst. Dass wir unsere persönlichen Grenzen mitteilen, um gut für uns selbst zu sorgen, damit wir uns im Zusammenleben mit anderen wohl fühlen.

Und wenn wir das verstanden haben, dann müssen wir nicht mehr künstliche Grenzen um unser Kind bauen, sondern können authentisch und klar für unsere Bedürfnisse einstehen. Denn erst wenn wir uns und unsere Bedürfnisse ernst nehmen, kann das auch unser Kind.

Je besser wir uns spüren und je klarer wir unsere persönlichen Grenzen kennen, desto klarer können wir sie kommunizieren. Unsere Sprache ist dann persönlich und dadurch warm und trotzdem eindeutig und entschieden.

Grenzen kommunizieren

Was kannst du also tun, wenn du deine Grenze im Zusammensein mit deinem Kind spürst?

  • Zeige dich, mach dich verletzlich und benutze deine persönliche Sprache. Ich will/ich will nicht. So geht es mir gerade. Das brauche ich gerade. Das ist mir wichtig. Das schafft Verbindung und dein Kind lernt dich kennen und nach und nach immer besser einzuschätzen. Das wiederum gibt Sicherheit und Vertrauen. Diese Botschaften müssen übrigens nicht unbedingt super nett und säuselnd klingen. Wenn du genervt bist, dann darf man das auch in deiner Stimme hören. Wichtig ist, dass du bei dir bleibst. Versuche deine eigene Sprache zu finden und dir hier nichts anzueignen, was sich fremd anfühlt.
  • UNDEN: Ãœberlege, welches Bedürfnis hinter dem Wunsch oder der Handlung deines Kindes steckt. Möglicherweise lässt sich das Bedürfnis auch auf andere Art erfüllen, so dass deine Grenze trotzdem gewahrt bleibt. Beispiel: Du bist müde und hast das Bedürfnis nach Ruhe und einer Pause. Dein Kind fordert dich aber zu einem Rollenspiel auf – du sollst Katze spielen und auf dem Boden krabbeln. Hinter dem Wunsch nach dem Rollenspiel könnte z.B. das Bedürfnis nach Verbindung und gemeinsamer Zeit stecken. Als Alternative könntest du also vorschlagen, gemeinsam aufs Sofa zu kuscheln und ein Buch anzuschauen. Dadurch hast du etwas Ruhe und Entspannung und dein Kind trotzdem gemeinsam Zeit mit dir.

Jetzt sagst du bestimmt „Ist ja schön und gut, aber was tue ich, wenn mein Bedürfnis dem von meinem Kind gegenübersteht? Wenn mein Kind genau das Gegenteil will von dem was ich brauche.“

Diese Situation wird es im Alltag natürlich immer wieder geben. Eine hilfreiche Frage dabei stammt aus den sogenannten Kloeters-Briefen. Sie lautet: Wer leidet mehr? Dabei ist die Idee, bei Interessenkonflikten genau zu schauen, welche Not gerade am dringlichsten ist und welches Bedürfnis überwiegt, und sich um dieses dann zuerst zu kümmern.

Und wenn du dich dabei für dein Bedürfnis entscheidest, dann ist das OK und dann darfst du das auch sagen. Und zwar völlig ohne schlechtes Gewissen.

Und ja, das kann zu Frustration beim Kind führen. Frust darüber an eine Grenze gestoßen zu sein. Frust darüber, etwas nicht haben zu können und nicht in dem Maße selbst bestimmen zu können, wie es das gerne möchte. Diesen Frust dürfen wir dann empathisch begleiten und unser Kind trösten ohne den Anlass der Verzweiflung klein zu reden.

Zum Schluss ist mir eine Sache noch sehr wichtig: all das oben geschriebene umzusetzen braucht Zeit und Geduld und Ãœbung. Mach kleine Schritte, die sind in jedem Fall besser als keiner. Und schaue mit dem gleichen weichen Blick auf dich selbst, wie auf dein Kind.

Du machst das toll und du bist gut, so wie du bist.